Tourette – ist das nicht diese seltsame Krankheit, bei der immer Schimpfwörter geschriehen werden? Soweit das verbreitete Klischee, mehr weiß aber kaum jemand über diese Krankheit, der nicht selber im engen persönlichen Umfeld einen am Tourette-Syndrom Erkrankten kennt. Tatsächlich macht dieser als Tic bekannte Ausdruck der Krankheit nur einen Bruchteil der Symptomatik aus, denn bei dem Gilles-de-la-Tourette-Syndrom selbst handelt es sich um ein deutlich komplexeres Krankheitsbild, das nach wie vor nicht vollständig erforscht ist. Wir informieren Sie im folgenen Artikel über die möglichen Ursachen, die Symptome des Krankheitsbilds sowie Therapiemöglichkeiten.
Was ist das Tourette-Syndrom und wie entsteht es?
Das Tourette-Syndrom wurde lange Zeit fälschlicherweise als Störung von Verhalten und Emotionen definiert, aber mittlerweile weiß man mehr: Das Krankheitsbild wird unter die Störungen der Entwicklung des Nervensystems gezählt, den neuropsychiatrischen Erkrankungen. Deutschlandweit ist etwa 1% der Bevölkerung von dieser Krankheit betroffen, Männer dabei je nach Studie 3 bis 6 mal öfter als Frauen, eine genetische Disposition für die Krankheit wird aufgrund familiärer Häufungen vermutet. Sichere Werte zu der Häufigkeit des Tourette-Syndroms gibt es bislang nicht, da der Diagnose-Prozess langwierig ist und die Symptomatik mit zunehmendem Alter abnimmt. Ihren Lauf nimmt die Krankheit normalerweise im Jugendalter, oft aber nicht immer gab es schon vor dem Krankheitsausbruch neurologische Auffälligkeiten, wie beispielsweise ADHS oder auch frühkindlicher Autismus.
Das Krankheitsbild wird durch verschiedene Tics charakterisiert, die der Betroffene zwar eine Weile zurückhalten, aber kaum ganz unterdrücken kann. Sie entäußern sich manchmal einzeln, oft auch serienmäßig und ruckartig, häufig auch sehr heftig. Vermutlich liegen die Ursachen für die sogenannten Tics, die das Leben des Betroffenen beherrschen, in einer Überempfindlichkeit des Kleinhirns für bestimmte Botenstoffe. Dadurch ist das Hemmungsvermögen des Kleinhirns nur sehr mangelhaft ausgebildet und jeder Impuls führt unwillkürlich zu einer Reaktion – einem sogenannten Tic.
Die Tics und wie sie sich zeigen
Diese Tics können auf sehr unterschiedliche Art und Weise in Erscheinung treten. Grob unterteilen kann man die möglichen Symptome in motorische Tics, vokale Tics und andere Tics.
Motorische Tics (Muskelzuckungen):
- Gesichtstics: Grimassen ziehen, Augenzwinkern, Zunge blecken, schielen, Nase rümpfen, Zähneknirschen, …
- Oberkörper Tics: Kopf- und/oder Schulterzucken, Haare zurückwerfen, …
- Komplexe Tics: schlagen (auch sich selbst), küssen (sich und andere), kneifen (sich und andere), …
Vokale Tics (Lautäußerungen):
- Einfach: Grunzen, Stöhnen, Räuspern, Schmatzen, Pfeifen, …
- Komplex: Wiederholen von Wörtern und Sätzen, murmeln, Selbstgespräche, Schlagwortartige Äußerungen, … darunter zählen auch:
- Echolalie: Lautwiederholungen von anderen
- Palilalie: eigene Lautwiederholungen
- Koprolalie: Fäkalsprache und obszöne Lautäußerungen
Andere Tics:
- Echopraxie: Nachahmen von Gesten (eigene und andere)
- Kopropraxie: Ausführung obszöner Gesten
- ritualisierte Zwangshandlungen: Zählen, fortwährendes Wiederholen von Redewendungen oder Verhaltensweisen, …
Das Leben als Tourette-Kranker
Schon bei der Aufzählung der möglichen Tics wird klar, dass das Tourette-Syndrom deutliche Auswirkungen auf das Leben und den Alltag eines Betroffenen haben muss. Während manche Tics, wie beispielsweise unwillkürliches Zwinkern oder Zähneknirschen, noch relativ leicht in den Alltag zu integrieren sind und den Patienten nur geringfügig einschränken, führen andere Tics, wie beispielsweise die meisten vokalen Tics oder komplexe motorische Tics je nach Häufigkeit und Intensität zu massiven sozialen und emotionalen Einschränkungen.
Da die Krankheit normalerweise mitten in der Adoleszenz einsetzt, also in einem Alter, in dem die Persönlichkeitsentwicklung in vollem Gange ist, entwickelt ein Betroffener selten ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Oft muss er sich schon früh Spott und Hänseleien gefallen lassen. Dazu kommt das Wissen, dass er seine Tics nur unter äußerster Willenskraft herauszögern, aber nicht wirklich unterdrücken kann. Man kann sich das ähnlich vorstellen, wie bei einem Dampfkochtopf: Eine Zeitlang kann er den Dampf innen halten, aber von Minute zu Minute steigt der Druck, bis er sich schließlich entladen muss. Viele Tourette-Kranke müssen deshalb mit der ständigen Angst vor Blamage leben, dazu kommt die Angst, sich und andere zu verletzten. Deshalb ziehen sich Betroffene häufig zurück und leben lieber einsam, als sich ständig den verwunderten Blicken Außenstehender und der damit verbundenen Scham auszusetzen.
Mit einem stark ausgeprägten Tourette-Syndrom ist aber nicht nur das soziale Leben eingeschränkt, auch der berufliche Alltag wird deutlich erschwert. Damit einher gehen häufig finanzielle Schwierigkeiten durch Erwerbsausfall. Zwar sind die Betroffenen grundsätzlich normal leistungsfähig, durch soziale Stigmatisierung und weil sie nur bedingt in Berufen mit Publikumsverkehr eingesetzt werden können, sind sie in ihrer Berufswahl und damit in ihren Erwerbsmöglichkeiten allerdings dennoch deutlich eingeschränkt.
Folgeerkrankungen und begleitende Symptome
Dazu kommt, dass die Tics häufig schon rein körperlich sehr anstrengend sind. Als Folge sind Betroffene oft erschöpft, haben Muskelschmerzen und ähnliches. Die psychischen Leiden sind aber größer: Ausgrenzung, Selbstwertproblematik, zwanghaftes Verhalten, Probleme in der Partner- und Berufsfindung führen langfristig häufig zu schwerwiegenden Folgeerkrankungen: Depressionen und Angststörungen sind hier sehr häufig, aber auch Störungen des Sozialverhaltens und aggressives Verhalten sich selbst und anderen gegenüber kann eine Folge des Tourette-Syndroms sein. Diese Folgeerkrankungen sind selbst behandlungsbedürftig und müssen in Verbindung mit dem Tourette-Syndrom therapiert werden.
Die Diagnose und Therapie des Tourette-Syndroms
Die Probleme, die ein Betroffener schon durch seine Erkrankung erlebt, werden häufig dadurch erschwert, das eine Diagnose nur schwer gestellt werden kann. Ein Grund hierfür ist die Vielfalt an möglichen Symptomen, ein weiterer die Tatsache, dass sich diese im Laufe der Erkrankung verändern oder abschwächen können. Auch ist es möglich, dass die Tics über einen längeren Zeitraum aussetzen. Dabei gibt es aber keine neurologischen oder psychologischen Diagnoseverfahren, die eindeutige Ergebnisse bringen, eine Diagnose kann nur über die Beobachtung und Einordnung der Tics erfolgen. Dafür ist allerdings seitens des Arztes spezielles Fachwissen und eine Fokussierung auf das Tourette-Syndrom notwendig, die Tics isoliert betrachtet könnten auch auf andere neurologische Störungen hinweisen.
Dazu kommt, dass eine Therapie Betroffene nicht von der Krankheit heilen kann, sondern lediglich zur Folge haben kann, dass die Symptomatik abgeschwächt wird. Hierfür finden hauptsächlich medikamentöse Therapien mittels Beta-Blocker oder Neuroleptika Einsatz. Ergänzend sollte aber auch auf jeden Fall eine Psychotherapie durchgeführt werden, um die sozialen und emotionalen Probleme, die durch das Tourette-Syndrom hervorgerufen werden, einzudämmen. Hier sind auch Selbsthilfegruppen eine gute Möglichkeit für Betroffene um Wege zu finden, mit ihrer Krankheit umzugehen und ein einigermaßen normales Leben führen zu können.
Des weiteren werden auch andere Therapieformen experimentell eingesetzt: Dazu zählen neurochirurgische Maßnahmen, Therapien mit Betäubungsmitteln wie Opiaten und Cannabis, sowie Musik- und Kunsttherapie.
Nicht alles ist schlecht
Nach all diesen negativen Meldungen, gibt es allerdings auch Aspekte am Tourette-Syndrom, die positiv betrachtet werden können. In einigen Fällen führt die extrem niedrige Hemmschwelle nämlich auch zu ungewöhnlich stark ausgeprägter Kreativität, auch die Reaktionsfähigkeit ist häufig schneller und besser ausgebildet als bei „normalen“ Menschen. Dadurch können sich Betroffene nach Akzeptanz ihrer Krankheit durch Improvisationstalent, rasche Auffassungsgabe, und ausgeprägte Schlagfertigkeit hervortun. Ziel sollte es also vielmehr sein, die Akzeptanz des Krankheitsbildes zu fördern und nicht nur die Symptome zu unterdrücken und die Betroffenen damit als „anders“ und „krank“ zu brandmarken und auszugrenzen. Denn letztlich steckt in jedem Schrecken auch eine gewisse Chance.
Weitere Infomationen finden sich auf der offiziellen Homepage: Gilles De La Tourette Syndrom
Beste Grüße
Petra Fischer
Gesund24h Redaktion