Lange ist es noch nicht her, dass Menschen, die an einer psychischen Erkrankung litten, in gefängnisartige Heime weggeschlossen wurden und teils recht qualvolle Prozeduren wie Eisbäder, Elektroschocks oder gar Hirnöffnungen über sich ergehen lassen mussten – und das ist kein schlechter Witz! Mittlerweile ist die Medizin glücklicherweise weiter und auch die Gesellschaft zeigt sich psychischen Erkrankungen gegenüber zunehmend tolerant. Allerdings wissen viele dennoch nur sehr wenig über psychische Krankheiten – was angesichts deren Komplexität auch niemandem zu verübeln ist. Als besonders komplex erweist sich dabei die bipolare Störung.
Was ist eine bipolare Störung?
Die bipolare affektive Störung, früher auch unter dem Begriff „Manische Depression“ bekannt, ist eine ernstzunehmende psychische Störung, die unter die Affektstörungen gezählt wird. Demnach betrifft sie vor allem die Affekte – also das Gefühlsleben – des Betroffenen.
Das besondere an der bipolaren Störung ist, dass hier extreme Schwankungen des Gefühlslebens auftreten: Meist extrem positiv erlebte Phasen (die manischen Phasen) wechseln sich mit extrem negativ erlebten Phasen (den depressiven Phasen) ab. In den manischen Phasen zeichnet sich der Betroffene durch überdurchschnittliche Produktivität und Aktivität aus und befindet sich meist in gehobener, manchmal auch gereizter Stimmung. Während der depressiven Phasen verfällt er hingegen in lähmende Aktivitätslosigkeit und in ein absolutes Stimmungstief, in dem die Symptomatik der einer klinischen Depression ähnelt. Zwar gibt es auch Zwischenformen und Misch-Zustände, dennoch bleibt auch hier stets die Neigung zum Extrem erhalten. Der Wechsel der Phasen erfolgt meistens ohne für Außenstehende nachvollziehbare Gründe und die Spannung zwischen den beiden Extremen macht ein normales Leben nahezu unmöglich.
Die Problematik entsteht dadurch, dass zwischen diesen beiden gegensätzlichen Polen keine Stabilisierung auf dem Normalniveau erfolgt – der Betroffene ist entweder manisch oder depressiv, ein gemäßigtes und dadurch realistisches Gefühlserleben findet nicht statt. Viele Bipolare pendeln zwischen übermäßiger Begeisterung und kompletter Verzweiflung. Dieser Zustand ist nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für ihre Angehörigen eine ernstzunehmende Belastung. Denn die Angehörigen sind es, die sich ständig in der Pflicht sehen, als ausgleichendes Element zu fungieren, womit sie sich letztlich selbst an die Grenzen der Belastbarkeit bringen.
Wie wirkt sich eine bipolare Störung auf den Alltag aus?
Das Stimmungsschwankungen das Leben beeinflussen steht wohl außer Frage. So extreme Stimmungsschwankungen, wie bei einer bipolaren Störung tun es noch viel mehr. Zwar gibt es wie bei jeder anderen Krankheit auch unterschiedlich schwere Krankheitsverläufe, aber dennoch bleibt eine bipolare Störung selten ohne Auswirkungen auf den Alltag.
Da sich ein Betroffener in den manischen Phasen häufig sehr schaffensfreudig zeigt und dabei Risiken nur sehr gering einschätzt, die Tatkraft in depressiven Phasen aber völlig stagniert, kommt es bei Bipolaren oft zu Überschuldung: Investitionen werden in manischen Phasen getätigt und in depressiven Phasen fallengelassen. Auch der Arbeitsalltag fällt durch eine bipolare Störung zunehmend schwer, ebenso wie jede andere geregelte Tätigkeit. Nach dem Ausbruch einer bipolaren Störung ist ohne medizinische Behandlung häufig ein Arbeitsplatzverlust die Folge. Der Verlust des Einkommens wirkt sich ebenfalls negativ auf die finanzielle Situation aus, die Unfähigkeit zuverlässig zu agieren behindert die Wiederaufnahme eines Arbeitsverhältnisses.
Aber nicht nur Geschäftsbeziehungen, auch soziale Beziehungen werden von der bipolaren Störung belastet. Angehörigen fällt es oft schwer, über einen längeren Zeitraum hinweg die ausgleichende Rolle übernehmen zu müssen. Sie stecken langfristig viel Kraft in den Erkrankten und verlieren dadurch häufig das Gefühl für ihre eigenen Bedürfnisse. Folge ist oft ein Burn-Out auf emotionaler Ebene. Zeigt sich der Bipolare nicht behandlungsbereit, bleibt Angehörigen oft nichts anderes übrig, als sich aus Selbstschutz von dem Erkrankten zu distanzieren.
Dazu kommt, dass bei bipolaren Störung häufig verschiedene Begleiterkrankungen auftreten, die selbst behandlungsbedürftig sind – diesen Vorgang nennt man Komorbidität. Dazu zählen zum Beispiel Alkohol- oder Drogensucht, Panikstörungen oder Persönlichkeitsstörungen. Ein Grund für diese Begleiterkrankungen kann der Versuch der Selbstmedikamentation sein. Denn natürlich leiden die Betroffenen selbst ebenfalls unter ihrer Affektstörung, oft fehlt allerdings die Krankheitseinsicht, die notwendig wäre, um die bipolare Störung behandeln zu lassen.
Nicht zu vernachlässigen ist auch, dass die bipolare Störung die psychische Erkrankung mit dem höchsten Sumizidrisiko ist: Je nach Quelle begehen rund 30% der Betroffenen Suizid.
Bei all diesen negativen Aspekten, die einer bipolaren Störung anhaften, hat diese dennoch auch durchaus positive Seiten: Menschen die an einer bipolaren Störung erkrankt sind, sind häufig extrem charismatisch und kreativ, in ihren manischen Phasen schaffen Sie es die Welt um sie herum mit ihnen zu begeistern, nichts kann sie aufhalten und sie strotzen nur so vor Schaffenskraft. Und auch in ihren depressiven Phasen hängt ihnen noch die Faszination an, die viele Künstler umgibt. Tatsächlich konnte bei vielen genialen Künstlern im Nachhinein eine bipolare Störung diagnostiziert werden: Vincent van Gogh, Hermann Hesse, Ernest Hemingway, Honore Balzac oder Charles Dickens sind nur einige davon.
Welche Ursachen hat eine bipolare Störung?
Die bipolare Störung tritt bei Männern wie Frauen gleichermaßen auf, etwa 1,5 – 3% der Deutschen sind davon betroffen – diese Anzahl ist allerdings nur ein Schätzwert, da viele Krankheitsfälle niemals korrekt diagnostiziert werden. Normalerweise zeigt sich die Erkrankung erstmals zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Ein früherer Krankheitsbeginn ist zwar möglich, aber äußerst selten.
Was die Ursachen einer bipolaren Störung betrifft, so sind diese bislang nicht eindeutig geklärt. Fest steht aber, dass es eine gewisse erbliche Neigung gibt, die das Entstehen dieses Krankheitsbildes begünstigt. Kommen dann weitere Faktoren hinzu, tritt die Affektstörung in Erscheinung. Diese Faktoren können psychosozialer Art sein, beispielsweise Trauma-Erfahrungen oder extreme Stresssituationen, oder aber sozialisationsbedingt, beispielsweise eine enorme Schwächung des Selbstwertgefühles oder ein sehr unregelmäßiger Lebenswandel.
Durch das multifaktorielle Zusammentreffen einer genetischen Disposition und psychosozialer Faktoren oder Sozialisierungsfaktoren kommt es bei den Betroffenen zu einem Ungleichgewicht der Neurotransmitter im menschlichen Gehirn. Abhängig von der jeweiligen Phase ist die Übermittlung entweder gehemmt oder beschleunigt. Funktioniert nun der empfindliche Botenstoffaustausch zwischen den Nervenzellen nicht mehr korrekt, ist das die Ursache für eine Vielzahl an Krankheitsbilder – die bipolare Störung ist nur eines davon.
Nicht jeder, der die genetische Neigung dazu hat, erkrankt auch tatsächlich an einer bipolaren Störung. Und nicht bei jedem Erkrankten gibt es mehrere Fälle in der Familie. Letztlich kann eine Affektstörung bei jedem auftreten und sollte weniger als Makel, denn als behandelbare Krankheit betrachtet werden.
Wie wird eine bipolare Störung diagnostiziert?
Zwar kann man anhand des Botenstoffhaushaltes im Gehirn eine bipolare Störung nachweisen, dennoch bleibt ein Großteil der bipolaren Erkrankungen unentdeckt. Denn akute körperliche Symptome liegen nicht vor, schließlich betrifft Erkrankung in erster Linie die Fähigkeit zur Gefühlsregulierung. Die Diagnose wird deshalb aufgrund intensiver Befragung des Betroffenen und seiner Angehörigen gestellt.
Was so einfach klingt ist in der Realität oft ein großes Problem, denn die wenigsten Betroffenen gestehen sich ihre Erkrankung ein. In den manischen Phasen fühlen sie sich aktiv und lebendig – nicht der Zustand also, in dem man zum Arzt geht. In den depressiven Phasen sitzt der Betroffene in lähmender Passivität fest – ebenfalls unmöglich, dann einen Arztbesuch zu organisieren. Und selbst wenn ein Erkrankter dann zum Arzt ginge, würde bestenfalls die Depression diagnostiziert – nicht die Bipolarität. Spätestens beim nächsten Phasenwechsel würde sich der Patient dann wieder so gut fühlen, dass er eine Behandlung als unnötig betrachten und sie abbrechen würde.
Gelingt es doch eine bipolare Störung zu diagnostizieren, hat der Patient oft schon eine lange Leidensgeschichte hinter sich, oft sogar schon einen Suizid-Versuch. Aber selbst wenn die Bipolare Störung endlich diagnostiziert werden konnte, ist der Patient dadurch nicht immer auch behandlungsbereit – schließlich nimmt man ihm mit der Behandlung nicht nur die Leiden der Depression, sondern auch die Freuden der Manie. Auch wegen dieser Diagnose-Schwierigkeiten ist es kaum möglich eine realistische Zahl an Krankheitsfällen zu bestimmen.
Wie wird eine bipolare Störung behandelt?
Sieht man davon aber ab, kann eine bipolare Störung eigentlich gut behandelt werden. Eine medikamentöse Therapie wirkt sich stabilisierend auf den Botenstoffhaushalt aus, in akuten Notfällen helfen auch Interventionsmedikamente zur Beruhigung oder Anregung die Erkrankten zu stabilisieren.
Da gerade in manischen Phasen aber oft die Krankheitseinsicht schwindet, macht es Sinn, die medikamentöse Behandlung durch eine nicht-medikamentöse Behandlung zu unterstützen und zu ergänzen. Hier wird häufig auf Psychotherapie gesetzt. Oft ist auch ein vorübergehender stationärer Aufenthalt in einer Klinik sinnvoll, um dort verschiedene Therapieansätze kombinieren und aufeinander abstimmen zu können.
Die Behandlung einer bipolaren Störung ist keine vorübergehende Maßnahme bis zur Besserung, sondern muss normalerweise ein Leben lang durchgängig fortgesetzt werden.
Beste Grüße
Petra Fischer
Gesund24h Redaktion